Interview mit Dieter Vierlbeck, Geschäftsführer des Bayerischen Handwerkstages (BHT)

Aus Anlass der bevorstehenden Internationalen Handwerksmesse IHM in München führten wir dieses Interview, das in der nächsten Ausgabe der Weiß-Blauen Rundschau abgedruckt wird.

 

Herr Vierlbeck, in der Industrie schwächt sich die Auftragslage deutlich ab. Wie ist die aktuelle Situation im Handwerk?

 

Das bayerische Handwerk befindet sich momentan in einer guten Verfassung. Zwar hinterlässt die Industrierezession auch bei den Zulieferern und Unternehmensdienstleistern im Handwerk ihre Spuren, doch der insgesamt stabile Arbeitsmarkt, Lohnzuwächse und niedrige Zinsen halten das Konsumklima und die ungebrochen starke Bautätigkeit weiterhin am Laufen. Für das Gesamtjahr 2019 rechnet das Handwerk in Bayern mit einem Umsatz von 126,4 Milliarden Euro. Das entspräche einem nominalen Plus von 4,5 Prozent gegenüber 2018. Abzüglich der Preissteigerung verbleibt immer noch ein realer Zuwachs von 1,3 Prozent. Auch für die kommenden Monate sind die meisten Betriebe optimistisch. Man kann schon sagen, dass das Handwerk angesichts der schwächelnden Konjunktur als Stimmungsaufheller für die gesamte Wirtschaft wirkt.

 

Viele Kunden des Handwerks klagen, dass es immer schwieriger wird, überhaupt einen Betrieb zu finden, der einen Auftrag zeitnah übernehmen kann. Worin sehen Sie die Ursachen und wie kann dieser Tendenz begegnet werden?

 

Es ist richtig, dass die Kunden momentan etwas länger warten müssen, bis der Handwerker Zeit für sie hat. Das gilt jedoch primär für den Bau- und Ausbaubereich. Die Planung eines Bades oder eines neuen Einbauschranks erfordert aber auch nun einmal Zeit. Im Lebensmittelhandwerk und im Bereich der verbrauchernahen Dienstleistungen, also beim Augenoptiker oder Friseur, wird man weiterhin umgehend bedient. Ebenso verhält es sich bei Notfällen: Wenn also bei Minustemperaturen die Heizung ausfällt, kommt der Heizungsbauer natürlich sofort. Ich finde aber, dass wir was die Produktlieferung betrifft, auch etwas vom Online-Handel verwöhnt sind: Dort handelt es sich um Massenware, die tausendfach vorrätig ist und einfach nur noch verpackt werden muss. Das ist im Handwerk, das Unikate schafft, nicht der Fall. Grundsätzlich ist es sicher hilfreich, wenn man sich über Jahre ein Vertrauensverhältnis zum Handwerker aufgebaut hat, dass von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Das heißt auch zeitnah zu bezahlen und nicht bei jeder Kleinigkeit zu reklamieren.

 

Viele Betriebe spüren zunehmend den Fachkräftemangel als begrenzenden Faktor für ihre wirtschaftliche Lage. Welchen Rat geben Sie den Betrieben?

 

Der Fachkräftemangel wird in der Tat für immer mehr Betriebe zum limitierenden Faktor und hat natürlich auch Auswirkungen auf die Wartezeiten der Kunden. 2019 waren im Jahresdurchschnitt 954.100 Personen im bayerischen Handwerk tätig. Das entspricht einem Plus von 0,8 Prozent. Der Zuwachs könnte viel größer sein, wir gehen von mindestens 30.000 offenen Stellen in Bayerns Betrieben aus. Das beste Mittel gegen den Fachkräftemangel ist meines Erachtens immer noch die Ausbildung. Wobei auch der Lehrstellenmarkt hart umkämpft ist. Für unseren Wirtschaftsbereich ist es durchaus problematisch, dass immer mehr junge Leute Abitur machen und anschließend studieren wollen. Dabei ist das auch mit einer Berufsausbildung und dem Meisterbrief möglich. Natürlich muss man als Betriebsinhaber alles unternehmen, damit die Azubis nach der Lehre auch bleiben und Fachkräfte nicht in die Industrie abwandern. Ich gebe zu, das ist nicht immer einfach. Bei der Suche nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern könnte ab März auch das so genannte „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ helfen. In diesem Zusammenhang schlagen wir vor, im Ausland Deutsch-Sprachkurse für berufliche Qualifizierte anzubieten, um sie bereits im Vorfeld der Vermittlung fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen. Ebenso müssen wir aber versuchen, die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter zu reduzieren und Menschen, die von der Industrie in diesem Jahr freigestellt werden könnten, schnell neue Jobangebote zu machen.

 

Ein zentraler Punkt im Handwerk in jüngster Zeit ist sicher die Wiedereinführung der Meisterpflicht. Welche Berufe sind davon betroffen und was erwarten Sie sich davon?

 

Mit der Wiedereinführung der Meisterpflicht in zwölf Handwerksberufen setzt die Politik ein wichtiges Signal. Die Meisterqualifikation steht für Gewährleistung und Verbraucherschutz. Sie stärkt die duale Ausbildung und sichert den Wissenstransfer von Generation zu Generation. Das bayerische Handwerk begrüßt daher die Wiedereinführung in Gewerken wieFliesen-, Platten- und Mosaikleger, Rollladen- und Sonnenschutztechniker und Raumausstatter. Damit wird ein fataler Fehler aus dem Jahr 2004 zumindest in Teilen korrigiert. Im Zuge der Novelle der Handwerksordnung war damals in 53 Gewerken die Meisterpflicht abgeschafft worden. Seitdem ist in einigen dieser „zulassungsfreien Berufe“ die Zahl der Fachkräfte und Auszubildenden teilweise deutlich zurückgegangen. Auch überleben Betriebe in Berufen mit Meisterpflicht im Regelfall länger am Markt als solche, in denen für die selbstständige Ausübung kein Meistertitel benötigt wird.

 

Produktionen und Dienstleistungen werden immer digitaler, die Kommunikation vernetzter. Wie verändern diese Strömungen den Alltag des Handwerks?

 

Die Digitalisierung bietet dem Handwerk Chancen, weil beispielsweise in der Produktion technische Hilfsmittel genutzt werden können, die es so bislang nicht gab. Andererseits stellt die Digitalisierung das Handwerk auch vor Herausforderungen, etwa im Bereich der Cybersicherheit oder weil auch die Industrie Produkte in Kleinserien herstellen kann. Kammern und Verbände unterstützen die Betriebe mit den Beauftragten für Innovation und Technologie (BIT) bei der Umstellung ihrer betrieblichen Prozesse. Aber auch die Kommunikation wird sich verändern: Schon jetzt sind es die Kunden gewohnt, rund um die Uhr einkaufen und Aufträge erteilen zu können. Darauf müssen sich die Betriebe einstellen.

 

Welche Auswirkungen der Digitalisierung sehen Sie in den nächsten Jahren auf die Betriebe, aber auch auf ihre Kunden zukommen?

 

Verschiedene Gewerke, wie z.B. der Modellbau oder die Orthopädietechnik, setzen bereits seit Jahren auf digitale Technik. 3D-Druck, Augmented Reality oder VR sind im Handwerk längst keine Fremdwörter mehr. Davon profitieren auch die Kunden: So können sie beispielsweise per VR-Brille die Planung ihres neuen Badezimmers verfolgen oder in ihrem Smart Home per App die Heizung hochdrehen, wenn es draußen friert.

 

Wie steht das Handwerk zum Klimapaket der Bundesregierung?

 

Die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreifen will, gehen aus unserer Sicht nur teilweise in die richtige Richtung. Bei der Umsetzung muss sorgfältig zwischen ökologischen Erfordernissen und ökonomischer Vernunft abgewogen werden. Es sind Handwerksbetriebe, die beispielsweise im Baubereich für Energieeffizienz und Energieeinsparungen sorgen und damit aktiven Klimaschutz betreiben. Das bayerische Handwerk begrüßt, dass eine Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudesektor in den Vordergrund rücken soll. Schon seit Jahren machen wir uns für eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung stark. Gerade bei Bestandsbauten ist das Energieeinsparpotenzial besonders hoch – anders als bei Neubauten, wo weiteres Sparen das Bauen erheblich verteuern würde. Eine Steuerförderung finanziert sich in diesem Bereich quasi selbst, da die angeregten Zusatzausgaben und Investitionen auch zu deutlich höheren Steuereinnahmen für den Staat führen.

 

Ein weiterer aktueller Diskussionspunkt, der kontrovers diskutiert wird, ist der Flächenverbrauch. Schränkt der umstrittene Verbrauch von 5 ha pro Tag das Handwerk in seiner Entwicklung ein?

 

Dem vielfältigen Flächenbedarf im Freistaat gerecht zu werden, stellt Bayern vor große Herausforderungen. Die Bevölkerungszahl nimmt zu. Es werden dringend Wohnungen gebraucht. Die Wirtschaft benötigt Gewerbeflächen. Gleichzeitig muss die Attraktivität der Landschaft erhalten bleiben. Gerade kleine und mittlere Unternehmen des Handwerks dürfen nicht in der Konkurrenz um Flächen und zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Interessengruppen zerrieben werden. Die herannahende Wohnbebauung, strengere Auflagen zu Emissionen jeglicher Art sowie eine steigende Sensibilität der Bevölkerung führen zu einer immer stärkeren Verdrängung von Handwerksbetrieben aus ihren Standorten. Die schärfere Konkurrenz um Flächen schlägt sich darüber hinaus in steigenden Bodenpreisen nieder. Handwerksbetriebe, die bei Neugründungen, Betriebserweiterungen oder -verlagerungen dringend Flächen benötigen, kommen immer seltener zum Zug.

 

(Nachgefragt von Fritz Lutzenberger, Redakteur der Weiß-Blauen Rundschau des Bayernbundes, redaktion.wbr@Bayernbund.de)

(Foto: Schlagenhauf BSSB)

 

Dieter Vierlbeck ist Geschäftsführer des Bayerischen Handwerkstages (BHT) und ehrenamtlich engagiert in der evangelischen Landeskirche und im Schützenwesen als stellvertretender Landesschützenmeister. Daneben ist er Mitglied des Landesbeirates des Bayernbundes.